Bregenzer
Wellen, Festspielzeit

Festspielzeit

Aktualisiert am 22. November 2024

Das Gespräch führte Viola Bierich. 
Der Text erschien in Ausgabe 1 (11/24). 

Lesezeit 4 Min.

Außenseiter mit Symbolcharakter

Portrait Thomas Blondelle

Der Tenor Thomas Blondelle war im Festspielsommer 2024 im Freischütz zu erleben. Im kommenden Jahr kehrt er auf die Seebühne zurück, um dem Amtsschreiber Max erneut seine Stimme zu leihen.

Sie spielen Max, einen Außenseiter in der Dorfgemeinschaft, insbesondere in dieser Inszenierung des Freischütz von Philipp Stölzl. Wie würden Sie die Rolle beschreiben?

Thomas Blondelle: Ich habe bereits in mehreren Freischütz-Produktionen mitgewirkt und festgestellt, dass ich mit der Figur immer eine Entwicklung mitmache: Am Anfang des Stücks denke ich mir immer: „Das ist so ein Trottel! Der trifft ständig die falsche Entscheidung.“ Aber je weiter ich mich mit ihm auf die Reise begebe, desto mehr fange ich an, ihn zu lieben. Entgegen der originalen Opernfassung ist Max in unserer Inszenierung ein Schreiber, wie in der ursprünglichen Erzählung, kein Jäger. Er hat einen Beruf, der nicht so richtig in die Dorfgemeinschaft passt; er fällt komisch auf in einem Dorf, in dem nur eines zählt: gut schießen zu können. Ich mag diese Abwandlung der Rolle sehr.

Max ist für mich auch ein Symbol für alle Menschen, denen das Leben zu schwer erscheint. Das, was im Alltag von uns erwartet wird, ist oft schlichtweg Wahnsinn. Jeden Tag aufs Neue musst du auf der Matte stehen, funktionieren ... auch in unserem Beruf, der von so vielen Ängsten geprägt ist. Man kann eine Rolle tausendmal singen, und doch macht man sich bei der ersten Probe einer neuen Produktion Sorgen, nicht gut genug zu sein. Ich glaube, dieses Thema ist unglaublich modern.
 

Sie leben selbst in einem kleinen Dorf in den Ardennen in Belgien. Konnten Sie etwas von dieser Erfahrung in das Freischütz-Dorf mitnehmen?

In dem Ort, in dem ich lebe, kennt jede:r jede:n – und ich bin in dieser Umgebung ein wenig der Exot: Dass jemand seinen Lebensunterhalt mit Singen verdient, gibt es in dieser Welt sonst nicht. Eine starke Parallele zur Oper ist auch die Jagd. Der Wald in meiner Heimat ist voller Wild und die Menschen wachsen mit dem Jagen auf. Es ist eine Tradition. Aber das Dorf ist auch ein ambivalenter Ort – gleichzeitig sicher und gefährlich: Dass sich alle kennen, ist zwar schön, aber auch beängstigend. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Philipp Stölzl stellt das in seiner Inszenierung sehr gut dar: Die Häuser sind ständig erleuchtet, alle schauen hin. Besonders gefällt mir, dass am Ende, als Fürst Ottokar erscheint, sozusagen die Stadt ins Dorf kommt. Alles ist zerstört und verlassen, und trotzdem bestimmt er, was zu tun ist, obwohl er keine Ahnung hat.

Sie singen auf der Seebühne mit elektronischer Verstärkung, was normalerweise auf der Opernbühne nicht der Fall ist. Beeinflusst das Ihre Interpretation der Rolle?

Ja, aber ich sehe das eher als Einladung, nicht als ein Problem. Durch die Verstärkung kann man an einigen Stellen ins unglaublich zarte Pianissimo gehen, was sonst auf der Opernbühne kaum möglich ist. Dann dreht die Tonabteilung etwas hoch und plötzlich entsteht eine ganz neue Farbe. Ich glaube, dass wir damit im zweiten Freischütz-Jahr sicher noch mehr experimentieren könnten. Natürlich gibt es geteilte Meinungen zu manchen Experimenten: Wenn der Teufel beispielsweise in Agathes Arie hineinsingt, denken sich vermutlich einige Leute im Publikum: „Oh je, das geht gar nicht!“, während andere es als spannend und interessant empfinden. Wären manche Akteur:innen in der Opernwelt nicht so altmodisch, könnte man auch andernorts sicherlich noch viel mehr ausprobieren.

Sie waren dieses Jahr das erste Mal bei den Bregenzer Festspielen und kommen nächstes Jahr für den Freischütz wieder. Worauf freuen Sie sich schon? Und gibt es etwas, das Sie diesmal gerne anders machen würden? 

Vielleicht nicht anders, aber ich würde einige Aspekte weiterentwickeln. Ich freue mich fast noch mehr auf das zweite Freischütz-Jahr als auf das erste, weil der Premierendruck wegfällt. 

Wir können noch einmal ein paar Dinge ausprobieren. Persönlich würde ich gerne mehr an den Stellen feilen, wo die Figuren zusammenkommen und es um das Zwischenmenschliche geht. Besonders die Beziehung zwischen Agathe und Max würde ich gerne noch nachvollziehbarer gestalten. Manchmal habe ich bei dieser Oper das Gefühl, dass ein Akt am Anfang fehlt, der die Vorgeschichte der beiden erzählt. Vielleicht können wir das in der Ouvertüre ergänzen, indem wir einen Dialog hinzufügen oder der Teufel etwas erzählt … darüber nachzudenken, finde ich spannend.

Sie haben eine riesige Bühne zu bespielen, die zur Hälfte mit Wasser geflutet ist. War Ihnen im Vorfeld klar, worauf Sie sich da einlassen?

Ich hatte damals einen Videocall mit dem Regisseur Philipp Stölzl, der mich fragte, wie das für mich mit Wasser wäre. Und ich meinte, das sei kein Problem. Ich bin an der belgischen Küste aufgewachsen, ich liebe Wasser. In Bregenz haben wir ein unglaublich professionelles Team, ich habe mich immer sicher gefühlt. Das Wasser passt auch wunderbar zur Inszenierung, weil es an den Figuren „zieht“ und ihnen eine gewisse Schwere verleiht. Mein Lieblingsmoment ist, wenn ich in der Arie des Kaspar mit dem riesigen Adler über der Schulter den Hügel erklimme, und die Musik rattert so mühlradartig dahin – das wirkt unglaublich mühevoll.

Da denke ich bei jeder Vorstellung: „Das kannst du nirgendwo anders so spielen!“ Und – das sieht das Publikum zwar nicht – oben angekommen gibt es nur noch einen schmalen Streifen Licht am Horizont, und der Bodensee erstreckt sich vor mir. Das ist einfach unglaublich.

… und körperlich sicherlich sehr anstrengend!

Vor allem, wenn du das Kostüm trägst mit dem Neoprenanzug darunter, und dann mit dem Mantel ins Wasser steigst – der Mantel wird gefühlt dreißig Kilo schwerer. Ich bin nach einer Aufführung richtig erschöpft, was nach zwei Stunden wirklich etwas heißen will. Es ist nicht zu unterschätzen.

Was ich mitnehme, sind die stillen Momente auf der Bühne.

Zum Abschluss: Was nehmen Sie als Erinnerung mit aus Ihrem Sommer in Bregenz?

Neoprenanzüge! Ich hasse sie. Sie sind schrecklich, sie atmen nicht, aber sie halten dich angeblich warm. Lustigerweise hatten wir so warme Tage hier, dass ich mir zwischendurch überlegt hatte, eine Vorstellung ohne Neopren zu spielen – aber ich habe mich dann doch nicht getraut.

Und jetzt zur ernsteren Antwort: Was ich mitnehme, sind die stillen Momente auf der Bühne. Wenn Max gleich am Anfang des Stücks fast umgebracht wird und erstmal Schweigen herrscht, weil das natürlich keiner erwartet, diesen Moment liebe ich. Oder wenn Kaspar nach Max’ Arie hereinkommt und so leise in sein Leben tritt. Ja, vor allem die berührenden kleinen Momente haben sich bei mir eingebrannt. Und die Berge. Ich hatte zwar nicht viel Gelegenheit dazu, aber es war sehr schön, ab und zu wandern zu gehen. Im nächsten Jahr hoffe ich, öfter dazu zu kommen.